Souveränität als Projektleiter lernen

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Ein Projektleiter strahlt Autorität, Sicherheit und Kompetenz aus, wird von allen geschätzt und ist sich der Akzeptanz seiner Mitarbeiter und Auftraggeber sicher. Doch kann man Souveränität lernen?

Sigmund Freud ging davon aus, dass die Persönlichkeit der dauernde Kampf zwischen Unbewusstem und Bewusstem sei. Später postulierte er sogar: Das bewusste Ich sitzt eingeklemmt zwischen dem unbewussten Es und dem elternhaften Über-Ich. Eine erschreckend negative Sicht der Persönlichkeit, die den unbewussten Trieben und übernommenen regulatorischen Instanzen eine dominante Rolle zuschreibt. Persönlichkeitsstärke ist hier nur sehr bedingt möglich.

Die heutige Persönlichkeitspsychologie sieht im eigenen Denken über sich selbst, dem „inneren“ Sprechen, den entscheidenden Faktor. Realitätsangemessen über sich selbst und seine Umgebung zu denken, führt zu einer persönlichen Einstellung, mit der die Anforderungen am besten interpretiert und auch gemeistert werden können. Einseitige Einstellungen oder übertriebene Gedankenraster bergen entsprechend die Gefahr, Personen oder Situationen kognitiv falsch wahrzunehmen und dann auch nicht mehr gerecht zu werden. Falsche Übertreibungen führen zu einer Haltung und zu einem Verhalten, das auf andere häufig als „exzentrisch“, „verbohrt“ oder „wirklichkeitsfremd“ wirkt. Umgekehrt: Wer richtig „Maß halten“ kann, wirkt auf andere ausgeglichen oder ausgleichend, souverän, weil er sich nicht gleich zu etwas hinreißen lässt, ausdauernd, weil er nicht auf die erstbeste Lösung springt etc.

Souverän zu sein heißt: ausgeglichen, geordnet, sicher, überlegt zu sein. Ein Projektleiter, der innerlich souverän ist, hat gelernt, seine eigenen gedanklichen Übertreibungen zu erkennen und sich von diesen zu trennen. Was sind die wichtigsten Gedankenfallen, denen ein Projektleiter ausgesetzt ist?

Falle #1: Ich muss immer offen sein für meinen Auftraggeber
„Der Kunde ist König“, lautet das bezeichnende Motto. Als Projektleiter bin ich zu 110 Prozent Leistung bereit. Anderes und andere müssen dann auch mal zurücktreten. Das erwartet der Auftraggeber von mir und das erwarte ich auch von den anderen im Projekt. Wer nicht so mit dem Projektziel infiziert ist wie ich, ist kein motivierter Mitarbeiter. Ich bin mir, meiner Familie und meinen Freunden für nichts zu schade, um das Projektziel zu erreichen.

Falle #2: Ich darf meinen Auftraggeber nicht frustrieren
Als guter Projektleiter lese ich meinem Auftraggeber die eigentlichen Wünsche von den Lippen ab. Ein gutes Projektmanagement besteht darin, die Kundenerwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern sogar zu übererfüllen. In dieses Muster passt nicht: dem Auftraggeber Grenzen aufzuzeigen, ihn vielleicht sogar an manchen Stellen zu frustrieren.

Falle #3: Wenn ich diesen Mitarbeiter ändere, dann wird auch das Projekt klappen
Als guter Projektleiter kann ich jeden schwierigen Mitarbeiter umkrempeln, damit dieser genauso motiviert wie ich das Projektziel anstrebt. Ich muss nur den richtigen Hebel finden und schon wird der Mitarbeiter im Projekt funktionieren. Wo ist nur dieser Hebel?

Falle #4: Ich habe den perfekten Plan
Ich habe einen Plan, der alles berücksichtigt und den die anderen später nur noch abarbeiten müssen. Ein guter Projektleiter plant alle Veränderungen schon im Voraus ein, damit er später nicht überrascht wird. Risiken habe ich dadurch im Griff. Ein Plan mit Lücken zeugt nicht von Professionalität.

Falle #5: Am besten gleich mal richtig Gas geben
Wenn ich am Anfang gleich ordentlich Gas gebe, zeigt dies, dass ich die Sache unter Kontrolle habe – zeigt auch meinen Führungsanspruch. Zögern am Anfang verunsichert. Die Mitarbeiter wollen wissen, wo es lang geht.
Diese Beispiele zeigen: Wer immer so denkt, kann nicht souverän sein. Angst, niemanden frustrieren zu wollen, auf der einen Seite und auf der anderen Seite übertriebene Machtphantasien darüber, was man alles im Griff haben müsste, sind kein Ausdruck von echter Souveränität. Schwierig ist nur, dass solche Gedanken im Moment einer konkreten Einzelsituation durchaus sinnvoll sein können, in der Summe aber als Gedankenschablonen falsch sind. Psychologisch betrachtet entsteht eine Einstellung durch das eigene Denken, das aus einer Situation heraus verallgemeinert und zu einem automatischen Gedankenmuster wird. Bleibt die Frage offen: Wie kann man als Projektleiter Souveränität lernen?

Souveränität entwickeln
Souveränität entsteht nicht von heute auf morgen, sie entwickelt sich. Wer sich verändern möchte, kann mit der eingangs erwähnten Selbstbeobachtung anfangen und sieht vielleicht in der persönlichen Rückschau, dass sich die individuellen Einstellungen im Laufe der Zeit entwickelt haben. Daraus wiederum lässt sich ableiten, dass bestehende Gedankenraster nicht unveränderbar sind. Sie haben sich in eine Richtung entwickelt, sie lassen sich auch wieder in eine andere Richtung ausbauen.
Wer einmal erkannt hat, dass die Art, wie er über sich selbst denkt, die eigene Selbstsicherheit bestimmt, kann bewusst an seinen Gedankenschablonen arbeiten. Manchmal sind die negativen Selbstwertgedanken allerdings sehr stark. Dann muss auch die „innere Gegenpropaganda“ sehr stark sein.
Es geht nicht um ein generelles „think pink – think positiv“ sondern um ein „normales“ Realitäts-Bewusstsein. Die Welt ist nie ganz böse oder ganz gut, das Projekt ist nie nur schlecht, die Mitarbeiter sind nicht immer unmotiviert… Ziel sollte es sein, sich eine differenzierte Betrachtungsweise anzugewöhnen und so Licht und Schatten gleichermaßen wahrzunehmen. Dazu zählt z. B., nie der ersten Idee hinterher zu rennen, erst einmal darüber zu schlafen, sich eine zweite Meinung einzuholen etc. All diese Techniken dienen dazu, nicht den automatischen und erstbesten Gedankenimpulsen zu folgen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes souverän zu handeln.

Bullet-Points:

  • Souveränität ist lernbar
  • Souveränität ist kein Machtspiel
  • Selbstbeobachtung führt zu ersten Veränderungen
  • Souveränität ist das gesunde Maß an positiven Gedanken

 

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