Lernen vom Projektmisserfolg

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Mann sitzt unter Regenwolke

Fehler macht keiner gerne und Misserfolge werden meist gerne verschwiegen oder beschönigt. Im offenen und ehrlichen Umgang mit Fehlern und Misserfolgen liegt aber das größte Verbesserungspotential.

Geschönte Erfahrungen helfen nicht weiter
Darf man den Beratern auf Kongressen und Tagungen glauben, dann haben sie (dank der Hilfe Ihrer IT-Tools) ihre Projekte zum Erfolg gebracht. Diese Veranstaltungen sind eine Aneinanderreihung von Erfolgsgeschichten, die dem Zuhörer das Gefühl geben: Wenn Du das Tool, von dem ich berichte, nutzt, dann wirst auch Du erfolgreich sein.
Und wenn es einmal um Misserfolge geht, dann nicht um die eigenen. Da wird dann beispielsweise bei Seminaren in der Mittagspause über die Unfähigkeit der Geschäftsleitung berichtet, einen machbaren Projektauftrag zu formulieren. Erzählt wird über das Verhalten von Vorgesetzten, die absichtlich oder unabsichtlich den Projekterfolg durch mangelnde Unterstützung herbeiführten. Oder es gibt Berichte über das Unvermögen des Steuerkreises, zeitnahe notwendige Anpassungen im Projektplan zu genehmigen.
Aus psychologischer Sicht ist dies sehr interessant, weil alle diese Erzählungen unterschwellig die eine Botschaft haben: „Nicht ich habe zu dem Misserfolg beigetragen, schuld sind die anderen“ oder „hätte man mich gefragt oder mir die Autorität gegeben, wäre es nicht so weit gekommen“. Man selbst hatte also nichts mit dem Misserfolg zu tun. Im Grunde wäre man selbst erfolgreich gewesen. Misserfolge passen nicht in unser individuelles Selbstbild.
Seien wir doch mal ehrlich: Die meisten Erfolgsgeschichten sind geschönt, sie dienen dem eigenen Ego des Erzählers, taugen aber nicht als Vorbild für andere.

Was meinen wir, wenn wir von erfolgreichem Projektmanagement sprechen?
An der Frage, ob ein Projektmisserfolg (etwa ein durch den Auftraggeber abgebrochenes Projekt) für eine Projektmanager-Zertifizierung herangezogen werden könne, scheiden sich die Geister. Einige sind der Ansicht, nur erfolgreiche Projekte zeigten, dass ein Projektmanager über das richtige persönliche Rüstzeug verfügt. Andere vertreten die umgekehrte Ansicht: Ein erfolgreiches Projekt beweise nicht zwingend, dass dieser Erfolg durch das Handeln des Projektleiters herbeigeführt wurde. Es könnten dabei eine Reihe ganz anderer Faktoren und Umstände eine Rolle gespielt haben, die zum glücklichen Ende des Projektes führten. Vielleicht hilft eine Analogie weiter: Was bedeutet es, ein guter Autofahrer zu sein? Die einen sagen: Ein guter Autofahrer ist in der Lage, auch bei schlechtesten Witterungsverhältnissen sein Ziel unfallfrei zu erreichen. Für andere bedeutet ein guter Autofahrer zu sein: „Lieber spät als gar nicht anzukommen“, oder „das Auto stehen zu lassen, wenn es gar nicht mehr geht“ oder sogar „vor Fahrtantritt sich über die Wetterlage zu informieren und sich dann für ein anderes Verkehrsmittel zu entscheiden“.

Wer nachdenkt und analysiert, zeigt, dass er über den Dingen steht
Projektmisserfolge werden häufig verdrängt, ausgeblendet oder unter den Tisch gekehrt. Negatives wird schön geredet. Dies verhindert aber eine konstruktive Aufarbeitung des Geschehenen und macht es unmöglich, letztlich daraus zu lernen. Und gerade darum ist es wichtig, sich intensiver mit den ungeschönten Projektgeschichten zu beschäftigen! Wer nachdenkt, reflektiert über die erlebten Dinge. Er vollzieht sie zeitlich nach, er sieht sie aus einem gewissen Abstand – räumlich und zeitlich –, weil er jetzt nicht mehr in der Situation verfangen ist. Nachdenken ist meistens wenig emotional – auf jeden Fall weniger emotional – als man sich fühlte, während man die Situation erlebte. Die allermeisten kennen wohl die Erfahrung, dass man in einer schwierigen Situation manchmal gar nicht richtig zum Nachdenken gekommen ist, man handelte fast automatisch oder reflexartig. Erst hinterher, mit einiger Distanz, sind nochmals weitere Ideen entstanden.

Hinterher ist man eben doch schlauer!
Aber wenn Nachdenken – warum dann über Misserfolge? Wäre es nicht besser, sich Gedanken über „Erfolge/Erfolgsfaktoren“, „Best Practices“ etc. zu machen? Ist es nicht vielleicht so, dass gerade das Nachdenken über Fehler dazu zu führt, sich zu stark auf das Negative zu konzentrieren und damit aber den Blick für die Chancen und das Gute zu verlieren? Dazu lässt sich sagen: Das Nachdenken über Misserfolge schließt nicht das Nachdenken über Erfolge aus. Das Erzählen von Misserfolgen eröffnet eine zweite Lernchance. Denn Misserfolgsfaktoren sind nicht einfach nur als die Umkehrung von Erfolgsfaktoren. Beispiel: Fehlendes Budget erhöht die Wahrscheinlichkeit für den Projektmisserfolg; umgekehrt ist aber ein ausreichendes Budget nicht gleichzusetzen mit einem Erfolgsfaktor. Und so gibt es sicherlich noch viele weitere Faktoren, die eine differenzierte Erfolgs-/Misserfolgswirkung entfalten können.

Der Erfolg ist eine Insel – der Misserfolg ist das Meer und Projektmanagement ist Segeln und nicht Zugfahren
Dieses Bild aus der Nautik zeigt in seiner Analogie die Komplexität von Management. Wer segelt, weiß, dass er auf die Windrichtung achten muss und auf andere Boote, die vielleicht Vorfahrt haben. Das Segelteam besteht aus den Vorschotern und dem Steuermann, der die entscheidenden Kommandos geben muss. Und zuletzt weiß jeder, dass er das Ziel nicht direkt ansteuern kann, sondern vor dem Wind kreuzen muss. Projekte sind risikoreich und tragen immer die Gefahr des Scheiterns in sich. Es ist keine Schande, wenn das Projekt am Ende einen Parameter, der irgendwann zu Beginn des Projektes gesetzt wurde, nicht erreicht. Projektmanager sind Dynamiker und keine Statiker. Aber das haben viele auch noch nicht verstanden: Der Steuermann, der den Kurs beibehält, weil dieser so mal im sicheren Hafen berechnet worden war, steuert damit vielleicht auf den nächsten (nicht berechneten) Eisberg zu.

Von Misserfolgen zu erzählen befreit von falschem, inneren Leistungsdruck!
Wenn man Kollegen im privaten Rahmen nach eigenen Misserfolgsgeschichten fragt, geben diese oftmals mit Begeisterung Auskunft. Beinahe könnte man den Eindruck erhalten, als hätten sie darauf gewartet, endlich auch einmal diese Seite von sich zeigen zu dürfen. Eigentlich nicht erstaunlich, oder? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, was von vielen so interpretiert wird, dass nur die erfolgreiche Leistung zählt. Aber haben wir uns nicht ebenso viel Leistung eingebracht bei den Projekten, die schief gingen? Gerade wenn man sieht, wie das, was man geplant hat, nicht funktioniert, bewirkt dies bei vielen Menschen ein erhöhtes Engagement, die „Sache doch noch zu retten“. Und sogar dann, wenn es zu spät ist, ist es für so manch einen schwierig, dies zu erkennen. Im Extremfall kommt der Misserfolg erst durch diese übersteigerte Leistungsbemühung zustande. „Manchmal ist weniger mehr“, sagt man. Leistung und Misslingen hängen also nicht zwangsläufig zusammen und das Berichten eines Misserfolges ist dann das Reflektieren des falschen Leistungsgedankens.

Der Misserfolg fällt nicht plötzlich vom Himmel
Der Misserfolg zeichnet sich häufig bereits im Laufe des Projektes ab – auch, wenn man es in der jeweiligen Situation vielleicht nicht wahrhaben will. Folgender Tipp berücksichtigt diese Tatsache. Von Zeit zu Zeit sollte man einem Kollegen oder vertrauenswürdigem Freund von seinem Projekt erzählen – und schauen, wie der andere reagiert, wo ihm etwas in der Geschichte nicht plausibel erscheint etc. Dieses Zurückfragen durch den anderen kann dazu führen, dass man selbst auf vermeintliche Schwachstellen aufmerksam wird – also auf Aspekte, die einem selbst bis dahin glaubhaft waren und jetzt plötzlich diese scheinbare Plausibilität in Frage gestellt wird. Da können dann aus Erfolgspotentialen schnell auch mal Gefahrenpotentiale werden.

Das Erzählen von Lerngeschichten für Prüfungssituationen
Und noch ein letzter Grund kann dafür sprechen, sich seine positiven und negativen Erfahrungen bewusst zu machen: Bei den Zertifizierungen der GPM/PM-Zert ab Level C werden 3 Jahre Erfahrung in Projektmanagement vorausgesetzt – bei den höheren Stufen sogar noch mehr. Erfahrung bedeutet, dass der Kandidat in der Lage ist, von diesen Erfahrungen zu berichten. Sowohl in der Antragsphase als auch bei der Zertifizierungsprüfung im Interview wird von den Assessoren immer wieder die Frage nach positiven und problematischen Erfahrungen zu einem Wissensgebiet gefragt: Was hat in Ihrem Projekt im Blick auf das Thema funktioniert – was würden Sie das nächste Mal anders machen? Diese doppelte Fragestellung zeigt, dass hier keineswegs nur nach „Success-Stories“ gefragt wird – vielmehr geht es darum, zu zeigen, dass man seine Erfahrung ausreichend reflektiert hat – und aus beidem für die Zukunft gelernt hat.