Ethik und Moral in der Projektarbeit

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Die berühmte Gretchenfrage kennen wir alle. Aber spielt das Thema Ethik auch eine Rolle in der Projektarbeit? Ein Interview mit Mark Reuter, Trainer und Inhaber der dynamis Personalmanagement & Projektmanagement GmbH.

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon“ … Die berühmte Frage des Gretchens in Goethes Faust I kennen wir alle. Aber welche Rolle spielt das Thema in der Projektarbeit? Dürfen oder sollen die moralischen Grundwerte des Projektleiters Einfluss nehmen auf den Projektverlauf? Wie gehe ich mit moralisch verwerflichen Anforderungen im Projekt um?

Spielen Ethik und Moral in der Projektarbeit überhaupt eine Rolle?
Das ist eine sehr pauschale Frage. Zuerst müssen wir klären, was wir unter Ethik und Moral verstehen. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Moral das, was ich persönlich als richtig oder falsch empfinde. Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein moralisches Bewusstsein. Ethik geht darüber hinaus und sucht nach Prinzipien, mit denen das sittliche Verhalten begründet werden kann. Das, was ich selbst für richtig halte und was wir auch im Kollektiven bejahen, wird als Ethos bezeichnet.

Ok, aber noch mal: Wo werden Ethos und Moral bei der Projektarbeit relevant?
Im Ethik-Kodex der GPM (eigentlich falsch: müsste Ethos-Kodex heißen …) werden 3 Werte postuliert: Integrität, Kompetenz und Verantwortung. Integrität bedeutet: Der PL beachtet die Gesetze und die gesellschaftlichen Werte des Kontextes, in dem er arbeitet. Kompetenz: Der PL übernimmt nur Projekte, deren Komplexität und dessen Folgen er auch abschätzen kann. Verantwortung: Der PL achtet auf Gesundheit, Sicherheit und Wohl, ist tolerant und weltoffen. Die 3 Werte sind im Miteinander der Beteiligten wichtig, aber auch im Verhältnis zum Projekterfolg und zum Berufsethos. Zum Vergleich: Die PMI® propagiert Verantwortung, Respekt, Fairness und Ehrlichkeit als fundamentale Werte.
Im Projekt tauchen an vielen Stellen ethisch-moralische Fragestellungen auf, z. B. in Form von Interessens- oder Loyalitätskonflikten, bei der Frage, wer die Verantwortung von Fehlern übernimmt, wie über andere geredet wird, oder wie man mit schlechten Wahrheiten umgeht. Anders ausgedrückt: Wertethemen stehen im engen Zusammenhang mit Themen wie Anforderungsmanagement, Stakeholder-Management, Teambuilding, Informationsmanagement etc. Im Grunde gibt es keinen PM-Themenbereich, der nicht mit ethischen Fragestellungen in Berührung steht.

In der globalen Welt erkennen wir, dass das, was wir für richtig und falsch halten, je nach Kultur und Religion unterschiedlich definiert wird. Ist ein einheitliches Ethos dann überhaupt „denkbar“?
Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass sowohl GPM/IPMA® als auch PMI® bestimmte inhaltliche Wertvorstellungen propagieren. Und hier kann es durchaus unterschiedliche Vorstellungen zwischen den Kulturen geben. Die Lösung liegt vielmehr darin, ein eher formales Prinzip zu finden, das es in allen Kulturen und Religionen gibt. Hier kommt das Prinzip der Gegenseitigkeit ins Spiel. Im Deutschen gibt es dazu das Sprichwort: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu.
Es gibt heute Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Thema einer globalen Ethik beschäftigen. Einer der ersten war übrigens der Theologe Hans Küng in Tübingen, bei dem ich auch studiert hatte. Inzwischen gibt es viele Ansätze und Methoden, die ein ethisch reflektiertes Handeln ermöglichen.

Was sind das für Tools?
Lassen Sie mich die vielleicht 3 bekanntesten nennen:
Nachhaltigkeits-Scorecard (auch „Sustainability Balanced Scorecard”): Dabei handelt es sich um die Balanced Scorecard, die um den Aspekt der Nachhaltigkeit (ökonomisch, sozial und ökologisch) erweitert wird. Zu den bestehenden 4 Perspektiven (Finanzen, Kunden, Interne Geschäftsprozesse, Lernen & Entwickeln) wird eine Nicht-Markt-Perspektive eingeführt, z. B. Umwelt- und Sozialaspekte (Emissionen, Abfall, Arbeitsbedingungen, …).
Social Return on Investment: Darunter versteht man die Bewertung eines messbaren gesellschaftlichen Mehrwerts, der z. B. durch soziale oder ökologische Projekte geschaffen wird. Dazu werden über einen längeren Zeitraum die Investitionen berechnet, Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesserungen gemessen etc. Auch andere „qualitative“ Vorteile werden monetarisiert und so für den sRoI berechenbar gemacht.
Social Marketing (auch Sozialmarketing, Non-Profit-Marketing):Hier geht es um die Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Strategien, die einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel erreichen wollen. Mit geeigneten Maßnahmen sollen gesellschaftlich erwünschte Einstellungen und Verhaltensweisen (Umweltschutz, gesundheitliche Aufklärung, Werbung für Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen) gefördert werden, während unerwünschte Verhaltensweisen eher geächtet werden.

Warum spielt das Thema in den PM-Trainings eine so geringe Rolle?
Ich weiß nicht, wie stark das Thema bei den Seminaren anderer Trainer eine Rolle spielt. In den Trainings, die auf eine Zertifizierung vorbereiten, müssen natürlich zuerst die Themen behandelt werden, die in der Prüfung viele Punkte bringen. Die Ethos-Fragen bringen aber nur max. 4-5 Punkte. Aber davon mal abgesehen: Ich glaube, dass das Thema kaum behandelt wird, liegt auch an dem jeweiligen Trainer: Wie sehr hat er seine eigenen moralischen Standards reflektiert, wie selbstsicher ist er im Umgang mit diesem Thema, kennt er überhaupt die Tools ethisch verantwortlichen Managements? Man kann schlecht etwas im Seminar vermitteln, das man nicht kennt bzw. bei dem man unsicher ist.

Wie vermitteln Sie das Thema in Ihren Trainings?
Ich gehe auf das Thema in verschiedenen Formen ein. Zum einen stelle ich die PM-Kodizes vor und lasse sie von den Teilnehmern hinterfragen. Wenn es die Zeit zulässt, stelle ich auch andere Tools vor. Außerdem nutze ich eigene Fallbeispiele bzw. Beispiele von den Seminarteilnehmern, an denen ethische Fragestellungen sichtbar werden. In der Ethikforschung nimmt man gerne Dilemma-Beispiele, an denen sich sehr schnell die Werthaltung einer Person erkennen lässt. Es handelt sich um Situationen, in denen sich der Teilnehmer entscheiden muss und egal, welche Wahl er trifft: Jemand anderes erleidet dadurch einen Nachteil. Manchmal muss ich solche Beispiele bringen, manchmal haben die Teilnehmer solche Beispiele auch parat.

Spielt es eine Rolle, dass Sie Theologe sind? Moral wird ja gerne von den Kirchen thematisiert …
Dass ich u. a. Diplom-Theologe bin, stimmt. Ich bin aber auch Diplom-Psychologe. Das zeigt mein Interesse am Menschen: Was bestimmt unser Verhalten? Was bewegt uns im Innersten als Mensch – ich empfinde das als sehr spannende Fragen. Eine meiner Leitsätze lautet ja auch: Projekte werden von Menschen für Menschen gemacht. Es geht hier weniger darum, was die Kirchen sagen (obwohl das meistens sehr durchdacht ist, aber durch die Medien sehr verkürzt dargestellt wird).

Was würden Sie abschließend einem Projektleiter raten, der das Thema „Ethos im Projekt“ in seinem Projekt ansprechen möchte?
Genau das: Er soll es ansprechen. Er kann sagen, dass es ihm wichtig ist und warum es ihm wichtig ist, möglicherweise einen Anlass nennen. Und so, wie wir in der „Norming“-Phase die Spielregeln im Projekt definieren, so könnte man auch definieren, welche Werte uns als Projektteam eint. Ich glaube, vielen Menschen ist das Thema ein Anliegen, es braucht nur immer einen, der den ersten Schritt macht!