Stress- und Projektmanagement

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Wie managt man als Projektleiter am besten seinen eigenen Stress - und den Stress bei seinen Mitarbeitern? Ein Projektleiter muss heute die verschiedensten psychosozialen Belastungssituationen managen können.

Viele Projektleiter kennen das: Alle paar Minuten klopft es an der Tür, das Handy klingelt und noch während des gerade geführten Gesprächs blinkt das Symbol für neue E-Mails im Posteingang auf. Der Arbeitsalltag als Projektmanager ist ein Stakkato von Anfragen, Mails, Meetings und Telefonaten. Der Prozesscharakter der Arbeit geht verloren. Und: Unterbrechungen im Arbeitsprozess werden oft als zeitraubend und nervtötend empfunden. Anspruchsvolle (fachliche) Arbeiten oder auch eine komplexe Projektplanung sind unter solchen Umständen äußerst schwierig.

Was ist eigentlich Stress?
Richard Lazarus (1966, 1978), einer der Pioniere der Stressforschung, sah die Ursachen für Stress in der individuellen Bewertung von Situationen. Eine Person kann in einer Situation völlig „gestresst“ sein, während die gleiche Situation bei einer anderen Person lediglich ein unangenehmes Gefühl hervorruft oder sogar eine Herausforderung darstellt. „Stress entsteht durch eine individuelle Bewertung der Situation und durch eine Einschätzung, wie gut man mit dieser Situation umgehen kann“, so Lazarus.
In der Arbeitswelt wird Stress mit der Arbeitsbeanspruchung in Zusammenhang gebracht. Hohe Arbeitsanforderungen führen vor allem dann zu Stresssymptomen, wenn sie nur mit einem geringen Entscheidungs- und Kontrollspielraum einhergehen. Stress äußert sich durch überhastetes Tempo, überproportionalen Kraftaufwand, Probleme bei der Informationsaufnahme etc. Länger andauernder oder häufig auftretender Stress führt nicht nur zur Beeinträchtigung von Befinden, und Leistungen, sondern auch zu Störungen des Sozialverhaltens, der Gesundheit und der Persönlichkeitsentwicklung. Wie stark der Stress von jedem einzelnen erlebt wird, hängt dabei häufig zusätzlich von sozialen Faktoren ab, zum Beispiel von der Unterstützung durch Familie und Freunde.

Was stresst – wer stresst?
Für einen Projektleiter kommt noch mehr dazu: Nicht nur er selbst ist Stress ausgesetzt, auch seine Teammitglieder und andere Stakeholder haben damit zu kämpfen. Und noch etwas gehört zu diesem Thema: Vielleicht trägt man selbst als Projektleiter etwas zum Stress bei seinen Mitarbeiter bei – unbewusst und ungewollt oder doch auch manchmal absichtlich? Als Projektleiter geht es also nicht nur darum, zu erkennen, was mich selbst stresst, es geht auch darum, zu erkennen, welche Stressoren auf die eigenen Mitarbeiter und andere Stakeholder wirken, und natürlich, wie damit besser umgegangen werden kann.

Stressmanagement im Projektverlauf
Den scheinbar unausweichlichen Stress im Projekt kann man doch wirksam bekämpfen! Hier einige Tipps, wie Sie als Projektleiter ein professionelles Stressmanagement im Projekt etablieren können.

Projektstart
Man kann damit rechnen, dass es in jedem Projekt zu Stresssituationen kommt. Auf Grund dieser Tatsache ist es sinnvoll, wenn Sie sich im Team schon zu Beginn des Projekts Maßnahmen überlegen, wie Sie diese Situationen vermeiden können. Häufige Ursachen für ersten Stress sind ungeklärte und nicht abgestimmte Erwartungshaltungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern, sowie fehlende, unterschiedliche oder falsche Informationen zur Vorgeschichte bzw. Projektbegründung. Auch der Eindruck, es handele sich bei dem Projekt um ein Zwangsprojekt („muss“-Projekt) ohne individuelle Gestaltungsfreiheiten, kann das Auftreten von Stress begünstigen. Nehmen Sie sich deshalb zu Beginn des Projekts die notwendige Zeit, die „heiße Luft“ herauszulassen.

Projektplanung
Abgesprochene und akzeptierte Planung:
Die Voraussetzung, um unnötigen Stress durch Zeitdruck oder Mehrfachbelastung zu vermeiden, ist eine realistische Planung, die mit den verschiedenen Stakeholdern abgesprochen ist. Viel Reibungsverlust entsteht z. B. durch häufiges „Jobhopping“: Der Mitarbeiter hat sein Tagesgeschäft und ist gleichzeig noch über die Woche mit etlichen Projektaufgaben betraut, die er jeden Tag ein bisschen vorantreibt. Das führt dazu, dass er immer wieder zwischen den Aufgaben hin- und herspringt, vermehrten Einarbeitungsaufwand hat, aber nie das Gefühl, etwas „richtig“ erledigt zu haben. Tipp: Sorgen Sie für eine kontinuierliche Arbeitsauslastung, definieren Sie ganze Projekttage, an denen konzentriert nur an dieser einen Aufgabe gearbeitet wird.
Dass es hin und wieder zu stressreichen Arbeitsphasen kommt, ist nicht nur dem Projektleiter bewusst, sondern auch den Mitarbeitern. In den allermeisten Fällen sind Mitarbeiter auch bereit, diese zu akzeptieren und Mehrarbeit zu leisten. Geben Sie daher Ihren Teammitgliedern Orientierung: Wenn die Mitarbeiter wissen, dass es sich um einen befristeten Zeitraum handelt, in dem Mehrarbeit anfällt, können sie sich selbst, die eigene Familie und Freunde auf diese Belastung einstellen. Dann ist außerdem klar, dass nach einer Stressphase auch wieder ruhigere Zeiten kommen. Und noch etwas – so banal es auch klingen mag: Urlaubszeiten sind tabu und entsprechend in der Terminplanung des Projekts zu berücksichtigen; auch das zeugt von einer realistischen Planung.

Umsetzen/Realisierung
Teambildung und Gemeinschaftsaktivitäten:
Workshops zu Beginn und während der Projektlaufzeit, das Feiern beim Erreichen eines Meilensteins und andere Events können zur Stressbewältigung beitragen. Gemeinschaftsaktivitäten helfen dabei, Stress zu reduzieren. Wer angestrengt arbeitet, sollte auch Zeit zum Feiern haben. Es kann sich dabei um größere Events handeln, meist sind aber kleinere Aktivitäten umso reizvoller, da diese sich besser mit der Privatzeit des Einzelnen kombinieren lassen. Nutzen Sie diese Möglichkeit, um zu kommunizieren: Wir tragen gemeinsam die Belastung und lassen niemanden alleine im Regen stehen!

Sinnvolle Arbeitspakete schnüren (lassen):Durch die Aufteilung der Arbeit in sinnvolle Arbeitspakete lässt sich Stress reduzieren, da Arbeitsvollzüge nun ganzheitlich ausgeführt werden können. Allerdings kann auch eine Stresserhöhung eintreten, wenn der Handlungsspielraum zu eng oder zu breit definiert ist. Auch inadäquate Arbeit, die durch die Erhöhung der Arbeitsteilung ausgeführt werden muss, kann in einem erhöhten Stresslevel resultieren. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Das Gefühl, nicht fremdbestimmt zu sein, sondern einen eigenen Verantwortungsbereich zusammen mit anderen zu gestalten, spornt Menschen in der Regel an, erhöht ihre Zufriedenheit und lässt sie dadurch auch weniger Stress empfinden.

Charakterstärken gezielt im Projekt einsetzen: Ein Psychologenteam des Lehrstuhls für Diagnostik an der Universität Zürich untersuchte in zwei breit angelegten Studien, wie sich die typischen Charakterstärken einer Person auf das Erleben ihrer Arbeit auswirken. Als Charakterstärken werden moralisch positiv bewertete Eigenschaften von Menschen definiert – wie beispielsweise eine hohe Selbstkontrolle, Teamfähigkeit oder Freundlichkeit. Jene Charakterstärken, die bei einer Person besonders stark ausgeprägt sind und die diese gerne und häufig einsetzt, bezeichnet man als „Signaturstärken“. Drei bis sieben Signaturstärken besitzt jeder Mensch üblicherweise. In der Untersuchung zeigte sich, dass die persönliche Zufriedenheit während der Arbeit mit der Anzahl der angewandten Signaturstärken zunahm. Je mehr eine Person ihre Signaturstärken bei der Arbeit einbringen konnte (4 und mehr Signaturstärken), umso mehr Spaß hatte sie bei der Arbeit, erlebte diese als sinnvoller und zeigte sich zufriedener mit ihrem Beruf als Personen, die nur drei oder weniger ihrer Signaturstärken am Arbeitsplatz einsetzen konnten (Quelle: Report Psychologie 2012).

Projektsteuerung
Änderungen als Normalzustand begreifen:
Für viele Projektmitarbeiter sind notwendige Änderungen und der Umgang mit Risiken Ausdruck von Fehlern, die in der Projektplanung begangen wurden. „Was stresst, ist dieses ständige Hü-Hott“, so die Aussage eines Teammitglieds. „Hätte man zu Beginn besser geplant, müssten wir jetzt nicht mit diesem Ärger umgehen.“ Hier zeigt sich der Wunsch vieler Projektmitarbeiter nach Kontinuität und Beständigkeit. Dabei übersehen diese Mitarbeiter allerdings, dass Projekte dynamische Systeme sind, die vielen unterschiedlichen Einflüssen unterliegen. Gelingt es Ihnen, allen wesentlichen Projektbeteiligten zu vermitteln, dass Änderungen „normal“ sind und Risiken manchmal erst im Projektverlauf entdeckt werden, reduzieren Sie dadurch einen wesentlichen Stressor bei vielen Stakeholdern.

Lessons Learned im Blick auf Stress
Gezielte Auswertung der Projekterfolge:
Zum Schluss sollten Sie auswerten, was hilfreich und unterstützend für das Erreichen des Projektendes war. Lenken Sie bewusst die Aufmerksamkeit der Teammitglieder darauf, welche sozialen und psychologischen Ressourcen zur Zielerreichung beigetragen haben. Interessant ist, dass manchmal in der Nachbetrachtung eines Projekts eine stressreiche Zeit als sehr bereichernd beschrieben wird – es war eine Zeit, in dem man über sich hinausgewachsen ist und zu außerordentlicher Leistung fähig war! Sorgen Sie dafür, dass dieser Eindruck aus dem abgeschlossenen Projekt mit ins neue übernommen wird – er ist wichtig im Blick auf die Stärkung der eigenen Stressresistenz.

Das eigene Stressmanagement als Projektleiter
Und wie gehen Sie als Projektleiter mit Ihrem Stress um? Untersuchungen zeigen: Menschen sind deutlich häufiger mit Stress konfrontiert, wenn sie einen geringeren Handlungsspielraum haben. Führungskräften wird unterstellt, dass Sie – im Gegensatz zu anderen – durchaus freier in Ihren Handlungsmöglichkeiten seien – trotzdem sind sie nicht vor Stress geschützt.
Psychologen der Universität des Saarlandes untersuchten, welchen Einfluss die Einführung einer sogenannten „Stillen Stunde“ auf die Arbeitsleistung bei Managern hatte. Im Rahmen einer Feldstudie begleiteten die Wissenschaftler 27 Manager zwei Wochen lang in ihrem Berufsalltag. Die Manager sollten jeden Tag in einem Tagebuch festhalten, wie sie ihre eigene Leistung einschätzten, wenn sie eine Stunde täglich konsequent externe Reize, wie Mails und Telefonate, abstellten. Es zeigte sich, dass die Manager nicht nur die Arbeit, die sie innerhalb der „Stillen Stunde“ erbrachten, als qualitativ hochwertiger einschätzten. Zusätzlich nahmen sie den gesamten Arbeitstag als zufriedenstellender und effizienter genutzt wahr. Selbst drei Monate nach dem Feldversuch bewerteten die Teilnehmer in einer Nachbefragung die „Stille Stunde“ immer noch als sehr positiv. Viele hatten die bewusste Auszeit beibehalten. Was allerdings so einfach klingt – sich eine Stunde freizuhalten –, ist in der Praxis eine große Herausforderung. Häufig muss um diese Stunde gekämpft werden, sie wird nicht nur durch Mitarbeiter sondern auch durch die eigenen Vorgesetzten gestört. Es braucht einiges an Selbstdisziplin und Souveränität, um die „Stille Stunde“ konsequent umzusetzen (Quelle: Report Psychologie 3/2013).
Eine weitere Möglichkeit, sich Handlungsspielraum zu verschaffen, steht im Zusammenhang mit dem Konzept von Life-Work-Me-Balancing: Der bekannte Begriff „Work-Life-Balance“ impliziert vom Namen her eine Gegenüberstellung von Arbeit und Leben. Diese beiden losgelöst betrachteten Teilbereiche sollen sich laut Definition möglichst nicht behindern, sondern sich im Optimalfall gegenseitig ergänzen. Grundsätzlich empfiehlt sich jedoch, statt eines Work-Life-Balancing eine Zeiteinteilung in die drei Bereiche Arbeitszeit, Sozialzeit und Privatzeit vorzunehmen. Dadurch lassen sich Aktivitäten eindeutig einem Teilbereich zuordnen und es entsteht nicht der Eindruck, die Arbeit sei kein Teil unseres Lebens. Außerdem lässt sich diese Kategorisierung einfach auf ein Projekt übertragen: Für jede Position, die eine Person besetzt – sei es die Projektrolle, die Rolle im Tagesgeschäft etc. – lassen sich Zeitkontingente reservieren.
Wichtig bei all diesen Aspekten ist: Sie als Projektleiter sind Teil des Teams und Ihre Fähigkeit, mit Stress konstruktiv umzugehen, färbt in der Regel auch auf die Mitarbeiter ab. Machen Sie Stress und den Umgang damit zum Thema in einer Projektbesprechung und zeigen Sie so Ihre Stressmanagement-Kompetenz, die letztlich auch dem Projekterfolg dient.

Fazit:
Stress scheint ein unausweichlicher Begleiter der Projektarbeit zu sein. Es kommt aber immer darauf an, wie man über diesen Stress denkt und welche Bewältigungsmechanismen man sich selbst zuspricht. Belastungssituationen von der konstruktiven Seite zu sehen, sich und anderen auch die Fähigkeit zuzusprechen, damit auch gut umgehen zu können, sind die besten Stressmanagement-Faktoren.

Bullet-Points

  • Stress ist das komplexe Zusammenspiel aus hohen Arbeitsanforderungen und geringen Bewältigungsmöglichkeiten.
  • Projektarbeit ist Stressarbeit – das ist schon im Voraus bekannt. Stärken Sie die eigene Stressbewältigungs-Kompetenz sowie die Ihrer Mitarbeiter.
  • Seien Sie ein unaufgeregtes Modell der Stressbewältigung – erhöhen Sie nicht unbewusst den Stress bei Ihren Mitarbeitern.