Der Luzifer-Effekt im Projekt

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Gutes und schlechtes Gewissen

Der Luzifer-Effekt ist der Versuch zu erklären, warum gute oder normale Menschen schlechte oder böse Dinge tun. Philip Zimbardo, einer der führenden Sozialpsychologie-Professoren Amerikas, versuchte, das menschliche Verhalten aus den situativen Einflüssen zu erklären.

In seinem bekannten Stanford-Gefängnis-Experiment von 1971 zeigte er, wie durch Gruppendruck aus einfachen, unbescholtenen Studenten grausame Gefängnispeiniger wurden.

Sein Fazit: Persönliche Integrität ist oft eine Illusion und kein Schutzschild gegen Zeitgeist und herrschende Mehrheitsmeinung.

Warum versagen Menschen?
Der konventionelle Ansatz sucht die Antwort auf diese Frage innerhalb der Person. Wer ist verantwortlich? Wer hat es verursacht? Wer ist schuldig?
Die Suche nach einer Erklärung für das Versagen wird in der Person, ihrem Charakter oder in deren Persönlichkeitsstruktur gesucht.

Sozialpsychologen dagegen ziehen es vor, ihre Bedeutungssuche mit den „Fragen nach Umständen“ zu beginnen: Welche Bedingungen könnten zu bestimmten Reaktionen geführt haben? Welche Umstände könnten bei der Entstehung gewisser Verhaltensweisen eine Rolle spielen? Wie stellte sich die Situation den Beteiligten dar?
Sozialpsychologen fragen: In welchem Ausmaß können die Handlungen einer Person auf Faktoren außerhalb der Person zurückgeführt werden; auf situative Variablen und Umweltfaktoren, die eine bestimmte Situation definieren?

Das Stanford-Gefängnis-Experiment
Ende der 60er Jahre führte Prof. Zimbardo an der Stanford Universität das „Stanford-Gefängnis-Experiment“ durch. Darin wurden 24 freiwillige Studierende durch einen Zufallsgenerator in „Gefängniswärter“ und „Gefangene“ in einem Gefängnis eingeteilt, das im Keller des Psychologiegebäudes in Stanford als Simulation nachgestellt worden war. Die Studenten lebten sich dort mehr und mehr in ihre Rollen ein:
Die „Wärter“ wurden immer sadistischer und die „Gefangenen“ immer passiver und zeigten Anzeichen extremer Depressionen. Das Experiment, das eigentlich zwei Wochen andauern sollte, wurde bereits nach sechs Tagen abgebrochen.

Das ideale Projektteam?
Wie wichtig ist das richtige Projektteam? Wie wichtig sind die Motivation und die Leistungsbereitschaft jedes Einzelnen? Viele sehen hierin mindestens einen Schlüssel zum Erfolg. Die richtigen Leute für die jeweilige Aufgabe zu finden, heißt die Devise. Auch die Frage nach dem richtigen Projektleiter zielt in die gleiche Richtung. Aber dies scheint eben nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Überträgt man die Erkenntnisse der Sozialpsychologie auf den Projektkontext, wird klar, dass hier der Anteil von fachlichen oder persönlichen Eigenschaften überschätzt wird.
Die andere Frage müsste lauten: Welche Faktoren beeinflussen den Verlauf eines Projekts wirklich? Fazit: Was hat dieses berühmte Experiment mit Projektmanagement zu tun? Die Parallelen sind naheliegend: Ein Projekt ist ein komplexes Vorhaben, das mit vielen internen und externen Faktoren verwoben ist. Wirtschaftliche, gesetzliche und sozialkulturelle Rahmenbedingungen grenzen das Projekt ein. Diese Variablen sind nicht immer bekannt, sie unterliegen auch einer Dynamik, können sich also – zum Teil sehr schnell – ändern. Darüber hinaus sind viele verschiedene Personen in unterschiedlichen Rollen und Funktionen an diesem Projekt beteiligt. Die Möglichkeit, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu führen, ist von vielen dieser Faktoren abhängig.
Die Frage ist: Wie klar ist dem Projektleiter, dass weniger seine Persönlichkeit, Charakterstärke oder andere persönliche Eigenschaften das Projekt zum Erfolg führen, sondern dass viele externe Einfluss- und soziale Umweltfaktoren einen deutlich stärkeren Effekt auf einen erfolgreichen Projektabschluss haben? In welchem Maße ist ihm selbst klar, dass diese Faktoren unbewusst und sehr subtil auch sein eigenes Verhalten steuern? Nimmt man die Erkenntnisse der Sozialpsychologie an, dann bedeutet das schlicht: Jeder ist in der Lage, ein Projekt zu leiten. Jeder ist auch in der Lage, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu führen. Denn viel wichtiger ist die Frage: Wie ist das Umfeld geartet? Manche Projekte stehen unter „keinem guten Stern“ – hier offenbart sich, wie wichtig eine gründliche Umwelt- und Stakeholderanalyse ist.